Rothenditmold trauert um
Ottokar Knierim

*3.7.1931 +8.5.2016

 

Mai 2016

Er galt als Rothenditmolder Urgestein. Kaum einer in unserer Stadt kannte sich so mit den Einzelheiten der Geschichte unseres Stadtteils aus wie Ottokar Knierim. Sein Schwerpunkt war die Entwicklung seit der Eingemeindung 1906. Darüber konnte er kenntnisreich, bisweilen bis in Details bei vielen kleineren oder auch größeren Veranstaltungen referieren oder im kleineren Kreis “schnuddeln“. Kaum jemand konnte sich seinen lebendigen Schilderungen entziehen. Er vermittelte seine Informationen über Rothenditmold in vielen Formaten, bei Wanderungen entlang der Stadtteilgrenzen, später als mit dem Wandern nicht mehr so gut ging, bei seinen Bilderspaziergängen über den Rothenberg oder durch das “Dorf“, im Erzählcafe ebenso wie im Rahmen des offenen Adventskalenders oder bei den Theateraufführungen anlässlich der Feiern zur achtzigsten und einhundertsten Wiederkehr der Eingemeindung Rothenditmolds nach Kassel. Dabei war ihm immer die Schilderung des Alltags der Bürgerinnen und Bürger seines Heimatstadtteils ebenso wichtig, wie die sich wandelnden Strukturen des Bauerndorfes zu einem der bedeutendsten Industriestandorte unserer Stadt*).

Ottokar Knierim war ein politischer Mensch. Die Erfahrungen in einer Großfamilie, die Kriegswirren mit der Trennung von der Familie ab 1943, sowie die Evakuierung mit der Mutter und den Geschwistern nach Brach bei Rothenburg an der Fulda waren bestimmend für seine spätere Entwicklung. In Brach war er als junger Mann, der mangels Alternativen eine Schuhmacherlehre absolvieren musste, eingebunden in das ländliche Leben, auch das eine wichtige Lebenserfahrung.

Zurück in Kassel schloss sich Ottokar Knierim der Evangelischen Jugend an, ging als junger Mann in die Schweiz, wo er in einer Jugendhilfeeinrichtung eine Art Praktikum absolvierte. Vielleicht waren auch diese Prägungen zusammen mit den Kriegserfahrungen entscheidend für eine weitere Ausbildung zum Sozialarbeiter an der damaligen AWO Akademie in Mannheim. Nach verschiedenen Tätigkeiten, u.a. beim Jugendamt der Stadt Kassel wurde Ottokar Knierim 1960 zunächst Sozialarbeiter und später Leitender Sozialarbeiter in der Justizvollzgsanstalt Kassel-Wehlheiden.

Ottokar Knierim trat in die SPD ein und wurde 1971 Vorsitzender des damaligen Verwaltungsausschusses und später bis 1997 Ortsvorsteher von Rothenditmold.

Ottokar war jemand der integrieren konnte. Er war regelsicher, was den formalen Teil seiner Tätigkeit als Ortsvorsteher ausmachte. Inhaltlich zeichnete ihn aus, dass stets das Gemeinwohl und die Stadtteilinteressen für ihn im Mittelpunkt seines politischen Handelns standen. Seine Mitgliedschaft in vielen örtlichen Vereinen und die dadurch erfolgte Begegnung mit vielen unterschiedlichen Menschen versetzte ihn stets in die Lage, Bürgerinteressen in notwendige Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Gelegentlich wurde Ottokar Knierim auch als wandelndes Gedächtnis von Rothenditmold bezeichnet. Das von ihm in jahrelanger Kleinarbeit im Keller seines Hauses angelegte Rothenditmold–Archiv führt auch heute noch dazu, dass wir vieles von dem, was die jüngere Geschichte des Stadtteils ausmacht, nachlesen können. In den letzten Jahren war es ihm ein großes Anliegen, einen sicheren Ort für sein Archiv zu finden. Das ist 2014 im Depot des Fördervereins “Wir für Rothenditmold“ in der Brandaustraße 10 in einem separaten Raum gelungen. Wichtig war Ottokar auch, dass er mit Heinrich Rüppel einen ehrenamtlichen Archivar als Nachfolger gefunden hat, der die von ihm begonnene Arbeit weiter führt.

Ottokar Knierims Tod ist nicht nur für seine Familie und seine Lebensgefährtin ein Verlust. Unser Stadtteil hat einen angenehmen Menschen und bedeutenden Zeitgenossen verloren.

Volkhardt Strutwolf

*) Wer etwas von dem nachvollziehen möchte, was diese detailtreue Erzählkunst von Ottokar Knierim ausgemacht hat, der kann dies im Internet unter Mediathek Hessen, “So bunt ist Rothenditmold“ in einem Interview mit Klaus Schaake vom Offenen Kanal sehen und hören.
Außerdem können Sie auf dieser Webseite Ottokar Knieriem in einem Vortrag über die ehemaligen Gaststätten in Rothenditmold im Originalton hören .